10: StadtStille
Ort: Kreuzgang der Münsterkirche
Wo ist Ruhe bemerkenswerter als dort, wo sie von geschäftigem
Treiben umgeben ist, wo Vergänglichkeit spürbarer als an jenem
Ort, wo sie auf die Vision von Unsterblichkeit trifft? In einem Raum,
der von der Idee eines religiösen Weltbildes beseelt ist, erscheint
das Weltliche und Alltägliche noch flüchtiger.
Dies ist die Situation, die wir im Kreuzgang der Münsterkirche in
der Stadtmitte und auch Einkaufsmeile Essens als Schnittstelle jener Gegensätzlichkeiten
vorfinden. Auf seiner innen liegenden Ebene, die hauptsächlich niedrigflächig
begrünt ist, steht ein singulärer Baum, der mit knorrigem Wuchs
selbst fast schon skulpturale Qualität besitzt. Mit unserer Arbeit
möchten wir gleichsam in der Sprache der Natur und in einer contemplativen
Weise darauf antworten; denn besonders die Natur vermag es, elementare
Gegensätze zu vereinen: dem Aufwachsen, Aufblühen, die Schönheit
offenbaren folgt das Verwelken, Absterben und Zerfallen, um dann aufs
Neue im Rhythmus der Jahreszeiten zu sprießen.
Wir platzieren im Schatten dieses Baumes zwei Plattformen, auf denen je
ein eigenwillig strukturierter, mindestens armdicker Ast liegt. Beide
Äste befinden sich jedoch in einem verschiedenartigen polaren Zustand:
der eine mit einer dichten weißen Eisschicht bedeckt, vor Kälte
glitzernd, der andere rotglühend, aber vom Feuer noch nicht verzehrt.
Besonders an diesem Ort mag man hier an den brennenden Dornbusch im zweiten
Buch Moses erinnert werden, durch den Gott Moses in der Wüste erscheint
(und ihm die Führung seines Volkes in das gelobte Land befiehlt).
Aber wir kennen auch Andersens Märchen von der Schneekönigin,
in dem die kleine Gerda durch ihre innige Zuneigung zu ihrem Freund Kay
und die heißen Tränen ihrer Trauer es schließlich vermag,
sein zu einem Eisklumpen erstarrtes Herz wieder zum Leben zu erwecken.
Zweifellos bisweilen beeindruckende Glitzerwelt auf der einen, und Raum
für innere Einkehr auf der anderen Seite finden ihre Verknüpfung
durch eine architektonische Heranführung (Brücke, Schwelle)
zu dieser geschützten Stätte, an der der so gelenkte oder auch
zufällig vom Hauptweg abgekommene Passant die unverhoffte Stille
wahrnehmen und auf seine inneren Geschichten hören kann.
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